Erich Mühsam

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Erich Mühsam, 1878 bis 1934, Dichter, Bohemian und Anarchist. Erich Mühsam war führend beteiligt an der ersten Münchener Räterepublik, wurde vom Standgericht zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, von denen er fünfeinhalb absitzen mußte. In der Weimarer Republik kämpfte er für die Freilassung politischer Gefangener und war ein steter Warner vor dem heraufziehenden Faschismus. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Erich Mühsam verhaftet, in Gefängninissen und Lagern gequält, bis er in der Nacht vom 9. zum 10. Juli 1934 von der bayerischen SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet wurde.
Was ist Liebe? Liebe ist, wenn man – ach was! Liebe ist Liebe.
Die Männer, welche Wert auf Weiber legen,
tun dieses leider meist der Leiber wegen.
Der Entschluß
Als ich dich fragte: „Darf ich Sie beschützen?“
Da sagtest du: „Mein Herr, Sie sind trivial.“
Als ich dich fragte: „Kann ich Ihnen nützen?“
Da sagtest du: „Vielleicht ein andres Mal.“
Als ich dich bat: „Ein Kuß, mein Kind, zum Lohne!“
Da sagtest du: „Mein Gott, was ist ein Kuß?“
Als ich befahl: „Komm mit mir, wo ich wohne!“
Da sagtest du: „Na, endlich ein Entschluß!“
Mein Gefängnis
Auf dem Meer tanzt die Welle
nach der Freiheit Windmusik.
Raum zum Tanz hat meine Zelle
siebzehn Meter im Kubik.
Aus dem blauen Himmel zittert
Sehnsucht, die die Herzen stillt.
Meine Luke ist vergittert
und ihr dickes Glas gerillt.
Liebe tupft mit bleichen, leisen
Fingern an mein Bett ihr Mal.
Meine Pforte ist aus Eisen,
meine Pritsche hart und schmal.
Tausend Rätsel, tausend Fragen
machen manchen Menschen dumm.
Ich hab eine nur zu tragen:
Warum sitz ich hier? Warum?
Hinterm Auge wohnt die Träne,
und sie weint zu ihrer Zeit.
Eingesperrt sind meine Pläne
namens der Gerechtigkeit.
Da wieder mal der Bundesrat
das Volk um etwas Rundes bat,
so hoff ich, daß die Hundesteuer
der Magistrat mir stunde heuer.
Sich fügen heißt lügen.
Mutter Germania gebar in legitimer Ehe mit dem Zeitgeist drei Söhne: den Konfektionsreisenden, den Radfahrer und den Oberlehrer.
Die Erfahrungen der letzten Zeit, die Angst großer Völker vor Krieg, Brand, Mord und allen Unmenschlichkeiten heißt zunächst uns alle vereint marschieren.
Wessen Privatleben niemals die Zentren des Gesellschaftslebens berührt, dessen Biographie kann für Seelenforscher höchst wichtig sein, die Allgemeinheit geht sie nichts an.
Und wieder tritt das Leben mir
mit vorgestelltem Fuß entgegen,
und wieder reißt des Zufalls Gier
vom Munde mir mein Häppchen Segen.
Und wieder ist der Weg verbaut,
den meine Hände wühlend schufen.
Zum hohen Ziel, das ich geschaut,
weist mich kein Pfad, gehn keine Stufen.
Gott liebt den Menschen nicht, der frei
hinaufsteigt zu den Zukunftspforten.
Die Häscher seiner Polizei,
des Schicksals, lauern allerorten.
Boheme ist eine Eigenschaft, die tief im Wesen eines Menschen wurzelt, die weder erworben oder anerzogen werden, noch durch die Veränderung der äußeren Lebenskonstellation verlorengehen kann.
Der Antisemitismus ist stets ein Symptom reaktionärer Hochkonjunktur.
Wer ein echter Dichter sein will, der muß das Kind in sich lebendig erhalten. In jedem Kinde aber steckt ein echter Dichter.
Der standesamtliche oder pastorale Segen ist nur die Begleitadresse zu dem Paket, in das man sich mit dem Ehepartner einschnürt.
Ein Kind, das an Leib oder Seele darbt, ist ein größerer Vorwurf gegen die Menschheit als alle Feindschaft und alle Niedertracht der Welt!
Wie der zerrissene Streifen Mondeslicht
In Silbersternen auf dem Wasser irrt! –
Die Welle, die nach Mondesküssen girrt,
Und der zerfetzte Glanz sind mein Gedicht.
Der Kampf aller gegen alle ist kein Ringen um den Preis der Schönheit, der inneren Freiheit, der Kultur – sondern eine groteske Balgerei um die größte Kartoffel.
Was ist der Mensch? Ein Magen, zwei Arme,
Ein kleines Hirn und ein großer Mund,
Und eine Seele – daß Gott erbarme! –
Was muß der Mensch? Muß schlafen und denken,
Muß essen und feilschen und Karren lenken,
Muß wuchern mit seinem halben Pfund.
Muß beten und lieben und fluchen und hassen,
Muß hoffen und muß sein Glück verpaßen
Und leiden wie ein geschundener Hund.
Sei’s in Jahren, sei’s schon morgen,
Daß das Glück sich wende:
Einmal nehmen Leid und Sorgen
Sicherlich ein Ende.
Mensch, vertraue deinem Wollen,
Wirk es aus zu Taten!
Ströme fließen, Wolken rollen,
Frucht entkeimt den Saaten.
Über Nöten und Gefahren
Wird die Freude thronen –
Sei’s schon morgen, sei’s in Jahren
Oder in Äonen.
Die Seele des Kindes ist das Allerheiligste im Tempel der Menschheit. In ihr lagert das Glück und die Freiheit der Welt.
Der Oberlehrer verleidet einem jeden Kunst-, jeden Naturgenuß, weil er alles glaubt erklären zu müssen, weil er verzweifelt, wenn er niemand erziehen kann.
Der wahrhaft Tapfere fürchtet kein Urteil, es sei denn das des eigenen Gewissens.
Ich will alleine …
Ich will alleine über die Berge gehn,
und keiner soll von meinen Wegen wissen;
denn wer den Pfad zu meinen Höhn gesehn,
hat mich von meinen Höhn herabgerissen.
Ich will alleine über die Berge gehn,
mein Lied soll ungehört am Fels verklingen,
und meine Klage soll im Wind verwehn; –
nur wer dem eignen Herzen singt, kann singen; –
nur wer dem eigenen Herzen klagt, kann klagen;
nur wer das eigne Herz erkennt, kann sehn. –
Hinauf zu mir! Ich will der Welt entsagen,
und will alleine über die Berge gehn.
Unsittlich kann nur sein, was die Sozietät gefährdet, niemals was zwei Menschen untereinander treiben.
Wir sind allzumal fehlende Menschen und irren ist das Recht dessen, der die Wahrheit sucht.
Du liebtest mich mit deiner ganzen Glut.
Ich liebte dich mit Seele und mit Geist.
Das ist vorbei. Du bist mir nur noch gut.
Ich steck in Liebe über Hals und Ohr, –
Und denk ich, daß du mir verloren seist,
So weiß ich, daß ich mich an dich verlor.
Trostspruch
Das Schicksal kann den Körper prügeln,
kann mit Kandare, Sporen, Bügeln
den Fuß, die Hand, die Stimme zügeln. –
Der Geist steigt auf mit freien Flügeln
und lacht ins Tal von Wolkenhügeln.
Mir ward zu tragen viel
An Leid und tiefem Gram.
Das Schicksal kam und nahm
Und ist noch nicht am Ziel.
Was ich aus Liebe gab,
wird mir als Schuld geziehn.
Das, ich dess‘ schuldig bin,
Das büß ich reulos ab.
Nur wer dem eignen Herzen singt, kann singen;
nur wer dem eigenen Herzen klagt, kann klagen;
nur wer das eigne Herz erkennt, kann sehn.
Ich sah der Menschen Angstgehetz;
ich hört der Sklaven Frongekeuch.
Da rief ich laut: Brecht das Gesetz!
Zersprengt den Staat! Habt Mut zu euch!
Träume, Freund, enttäuschen nie.
Hinter den Häusern heult ein Hund.
Denn die Schatten der Nacht sind bleich und lang;
und des Meeres Herz ist vom Weinen wund;
und der Mond wühlt lüstern im Tang.
Durch Morgennebel streicht hastig ein Boot,
die Segel schwarz, wie vom Tod geküßt.
Die Flut faucht salzig näher und droht …
Bang knarrt der Seele morsches Gerüst.
Kleiner Roman
Sie lernte Stenographin.
Er war Engros-Kommis.
Im Speisewagen traf ihn
ein Blick. Er liebte sie.
auf einer Haltestelle
brach man die Reise ab,
woselbst er im Hotelle
sie als sein Weib ausgab.
Nicht viel, das man sich fragte.
Doch küßten sie genug.
Und als der Morgen tagte,
ging schon der nächste Zug.
Nach einer kurzen Stunde
fand ihre Fahrt den Schluß.
Er nahm von ihrem Munde
noch einen heißen Kuß.
Er sah sie schnupftuchwinkend
noch stehn zum letztenmal,
und in sein Auge blinkend
sich eine Träne stahl.
Er soll sie noch heute lieben.
Sie war so drall und jung.
Ihr ist ein Kind geblieben
und die Erinnerung.
Versöhnung
Tore der Freiheit auf! – Feinde von gestern,
nehmt unsre Hände hin, Brüder und Schwestern!
Arbeiter, Bauersmann, Bürger, Soldat –
eigenes Schicksal will eigenen Rat.
Glückliche Ernte will zeitige Saat.
Nieder die Grenzen, die uns geschieden!
Völkerfreiheit wirke das Band
ewiger Freundschaft von Land zu Land –
wirke der Völker ewigen Frieden.
Fanal
Ihr treibt das Rad, ihr wirkt die Zeit,
das Feuer flammt: Jetzt! und Hier!
Euch mahnt das Feuer, macht euch bereit!
Erkennt eure Kraft! Seid Ihr!
Euch flammt das Feuer! Euch blüht das Land!
Erkennt! Seht! Hört! und Wißt!
Doch ihr verdingt euer Hirn, eure Hand –
und zweifelt, was Euer ist.
Kein Fragen, kein Rechnen befreit den Geist.
Das Feuer flammt: Tat ist Pflicht!
Wenn ihr eure Ketten nicht zerreißt, –
von selber brechen sie nicht!
Wenn ihr eure Ketten nicht zerreißt –
von selber brechen sie nicht!
Ja, Bürger, ja – die Erde bebt.
Es wackelt deine Habe.
Was du geliebt, was du erstrebt,
das rasselt jetzt zu Grabe.
Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll.
Erst fallen die Devisen,
dann fällst du selbst zu diesen.
Seid Menschen! Habt Herz!
Kein Knirschen der Wut stört die Hast der Geschäfte.
Der Lärm geht um den Profit; kein Stöhnen der Verzweiflung übertönt ihn.
Eine verlogene Ethik hat das Wissen um
Wahrhaftigkeit und Rechtlichkeit vergiftet.
Der Mahner
Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit?
Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn.
Ein wirres Stimmentosen hör ich weit,
weit hinter mir und kann es nicht verstehn.
Ich ruf euch zu, doch euerm Echo fehlt
der Laut, der rein aus meiner Stimme klingt.
Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt,
horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt.
Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift
mißtönig euer ärgerlicher Spott.
Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift?
Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?
Kalender
Januar
Der Reiche klappt den Pelz empor,
und mollig glüht das Ofenrohr,
Der Arme klebt, daß er nicht frier,
sein Fenster zu mit Packpapier.
Februar
Im Fasching schaut der reiche Mann
sich gern ein armes Mädchen an.
Wie zärtlich oft die Liebe war,
wird im November offenbar.
März
Im Jahre achtundvierzig schien
die neue Zeit heraufzuziehn.
Ihr, meine Zeitgenossen wißt,
daß heut noch nicht mal Vormärz ist.
April
Wer Diplomate werden will,
nehm sich ein Muster am April.
Aus heiterm Blau bricht der Orkan,
und niemand hat’s nachher getan.
Mai
Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Des Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)
Juni
Mit Weib und Kind in die Natur,
zur Heilungs-, Stärkungs-, Badekur.
Doch wer da wandert bettelarm,
den fleppt der würdige Gendarm.
Juli
Wie so ein Schwimmbad doch erfrischt,
wenn’s glühend heiß vom Himmel zischt!
Dem Vaterland dient der Soldat,
kloppt Griffe noch bei dreißig Grad.
August
Wie arg es zugeht auf der Welt,
wird auf Kongressen festgestellt.
Man trinkt, man tanzt, man redet froh,
und alles bleibt beim status quo.
September
Vorüber ist die Ferienzeit.
Der Lehrer hält den Stock bereit.
Ein Kind sah Berg und Wasserfall,
das andre nur den Schweinestall.
Oktober
Zum Herbstmanöver rücken an
der Landwehr- und Reservemann.
Es drückt der Helm, es schmerzt das Bein.
O welche Lust, Soldat zu sein!
November
Der Tag wird kurz, die Kälte droht.
Da tun die warmen Kleider not.
Ach wärmte doch der Pfandschein so
wie der versetzte Paletot.
Dezember
Nun teilt der gute Nikolaus
die schönen Weihnachtgaben aus.
Das arme Kind hat sie gemacht,
dem reichen werden sie gebracht.
Wer ein echter Dichter sein will,
der muss das Kind in sich lebendig erhalten.
In jedem Kinde aber steckt ein echter Dichter.
„Kunst ist immer und durchaus Ausdruck der Persönlichkeit.“
Leb, dass du stündlich sterben kannst, In Pflicht und Freude